Digitalisierung von Spitälern – Welche Reife braucht es?

Von Fabian Brüning, Pascal Frank und Christian Hammann

Anmerkung: Dieser Artikel ist der zweite Teil der Artikelserie «Digitalisierung – Das Gesundheitswesen auf dem Weg der Besserung».

Digitalisierung von Spitälern – Welche Reife braucht es?

In dem ersten Artikel unserer Serie haben wir uns kritisch mit den positiven und negativen Auswirkungen des KHZG-Fördertopfes auf die Digitalisierung von Kliniken in Deutschland auseinandergesetzt. Eine wichtige Folgerung war, dass man für erfolgreiche Digitalisierungsprojekte einen guten Überblick über die eigene digitale Maturität haben muss. Doch wie kann diese erfolgreich bestimmt werden? Welche Möglichkeiten und Modelle stehen dafür zur Verfügung?

Warum immer Digitalisierung?

Zu Beginn sollte die wichtigste Frage geklärt werden: Sind Massnahmen in Richtung Digitalisierung für ein Spital erforderlich und wenn ja, welche?

Dies lässt sich an dieser Stelle natürlich nicht pauschal für ein spezifisches Spital beantworten. Doch ein Blick in die Vergleiche mit anderen Branchen zeigt, dass vor allem Spitäler hier noch deutlich aufholen können. Insbesondere kann dabei viel Geld eingespart werden. Schätzungen gehen dabei von 6,5 - 10% der Gesamtkosten aus.

Das klingt beim ersten Lesen vielversprechend, es gibt aber einen altbekannten Haken. Denn es zeigt noch lange nicht, welche digitalen Projekte sich für ein Spital eignen. Die Digitalisierung bestimmter Bereiche mag dem einen Spital grosse Vorteile verschaffen, kann bei einem anderen keinen oder einen sehr geringen Effekt haben. Dies zeigt sich auch darin, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden und Angebote gibt, die digitale Maturität festzustellen.

Gibt es bekannte Methoden für die Bestimmung der digitalen Reife im Spital?

Eine der bekanntesten digitalen Maturitätsmessungen wird in der Schweiz nur selten verwendet. Dabei handelt es sich um die Bestimmung des Digitalisierungsgrades über das amerikanische EMRAM (Electronic Medical Records Adoption Model von HIMSS Analytics). Spitäler werden anhand dieses Modells auf einer Skala von 0 - 7 bewertet. Diese Bewertungsskala hat international bereits in mehreren tausend Kliniken Anwendung gefunden. Die Stufen reichen von 0 bis 7, wobei Stufe 0 (keine Labor-, Radiologie-, Apotheken-Datenausgabe online über externe Service Provider) die niedrigste Wertung bedeutet und 7 (vollständig papierloses EMR-Umfeld) die höchste Wertung. In der Schweiz gibt es aktuell nur ein Spital mit der zweithöchsten Einstufung von 6 (Spital STS AG [1]). Allerdings sind grundsätzlich nur sehr wenige Spitäler anhand des EMRAM-Modells überprüft und bewertet. Die Bewertung nach der EMRAM-Logik ist umstritten, was auch im Aufbau des Scores begründet ist: es gibt feste Kriterien, welche für jede Stufe erfüllt sein müssen und die somit stufenweise einen bestimmten EMRAM-Score zuweisen. Ein Spital kann somit sehr gut digitalisiert sein, jedoch eine der Bedingungen von Stufe 4 nicht erfüllen, womit es nur Stufe 3 auf der Bewertungsskala erreicht. Somit hat die Aussagekraft von EMRAM teilweise nur stark beschränkte Gültigkeit.

Ein anderer Grund für den geringen Reifegrad nach EMRAM in der Schweiz: Spitäler befinden sich meist in kantonaler Hand. Das bedeutet zwar, dass sie kostensensitiv sind, der Wettbewerb untereinander jedoch nicht so hoch, wie es bei anderen Trägerschaften der Fall wäre. Ein Bedarf wird daher in vielen Fällen nicht gesehen.

Typische Schwachstellen bei der Digitalisierung

Es gibt typische Bereiche, die in Schweizer Spitälern unzureichend digitalisiert sind und bei denen durch Digitalisierung eine deutliche Effizienzsteigerung erreicht werden kann. Einige Beispiele aus unseren Erfahrungen:

  • Patientenaufnahme: Online oder mobile Terminbuchungen, das rechtzeitige Absagen von Terminen oder Terminverschiebungen. Auch Überweisungen und Wartezeiten können leicht digitalisiert werden und erzeugen eine komplett andere Patienten Journey, die sich positiv auf das Spital auswirkt. Gleichzeitig steigt die Effizienz und Ressourcen können sinnvoller eingesetzt werden.
  • Papierbasierte Dokumentation: An einigen Stellen bietet eine papierbasierte Dokumentation Vorteile, häufig können mit einer digitalen Variante jedoch Prozesse optimiert und Kosten gesenkt werden.
  • Administration: Ineffiziente Prozesse, nicht funktionierende Schnittstellen bei internen Überweisungen erhöhen den administrativen Aufwand enorm.
  • Kultur: Häufig gibt es bei dem hohen Arbeitsdruck im Gesundheitssystem strikte Hierarchien, mangelnde Feedbackmöglichkeiten und eine fehlende gemeinsame Vision. Dies sorgt für eine Missstimmung in der Belegschaft, ist ein entscheidender Faktor für ein Spital in Zeiten eines Fachkräftemangels und stellt ein Risiko bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten dar. Interoperabilität: Die Vernetzung einzelner Systeme vor allem mit dem Krankenhausinformationssystem (KIS) sind oft mangelhaft. Es gibt viele Medienumbrüche und parallele Prozesse.
  • Netzwerke: Neue Generationen von Netzwerken wie 5G, aber auch bestehende Technologien wie Bluetooth und Wlan werden meist nicht effizient genutzt und würden Prozesse vereinfachen (z.B. Tracking von Geräten oder Betten).
  • Datensicherheit: Data Breach zeigen, dass Spitaldaten meist nicht ausreichend geschützt sind. Kommunikationen über Medien wie Fax sind kritische Schwachstellen und können im Falle einer Cyberattacke sehr teuer werden.

Welche digitale Reifegradmessung hilft mir?

An dieser Stelle eine Digitale Reifegradmessung zu empfehlen wäre kein guter Rat. Es gibt eine Vielzahl von Anbietern und jede Messung hat ihre Vor- aber auch Nachteile. Aus den Erfahrungen unseres eigenen „Maturity Checks“ für Spitäler können wir jedoch einige grundlegende Empfehlungen geben:

  • Jedes Spital ist in den Anforderungen einzigartig. Das bedeutet, dass eine gute Reifegradmessung nicht in einem zu engen Rahmen durchgeführt wird. Es müssen individuelle Anpassungen und Schwerpunkte ermöglicht werden.
  • Rein technische Digitalisierungsgrad-Messungen vergessen einen wichtigen Faktor: Den Menschen und damit auch das wichtigste Kapital eines Spitals – die eigenen Mitarbeitenden. Daher sollten bei einer Prüfung auch die Meinung und Bedürfnisse des Personals, der Patienten und ggf. sogar der angeschlossenen MVZ, oder niedergelassenen Ärzte eingebunden werden. Diese sind letztendlich von allen digitalen Projekten, Änderungen und Innovationen betroffen. Eine Sicht ausschliesslich von der Geschäftsleitung und/oder IT ist für eine ehrliche Darstellung nicht ausreichend.
  • Eine gute Digitale Reifegradmessung endet nicht mit einer Zahl, die aussagt wie gut das Spital digitalisiert ist, sondern leitet aus den Ergebnissen konkrete Handlungsfelder und Schwachstellen ab. Diese können dann verwendet werden, um Projekte besser zu planen und auch nachhaltig zu implementieren. Sie werden sich wundern, wie viel eher Projekte von der Belegschaft angenommen werden, wenn diese ausreichend kommuniziert wurden und vor allem Meinungen vorher angefragt wurden. Eine Digitale Reifegradmessung ist bereits eine erste, wichtige Kommunikation für erfolgreiche Projekte.

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Reifegradmessungen im Spital?

Quellen:
[1] https://www.himssanalytics.org/europe/stage-6-7-achievement

Freuen Sie sich auf unseren Folgeartikel im nächsten Monat, in welchem wir die „Digitale Patient Journey“ thematisieren werden.

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